KOMPROMISLOS

Datenschutz gegen Kindeswohl

#1 von gabfalk , 06.11.2010 16:36

Ein Landrat in Nordrhein-Westfalen hat vor einem entlassenen Sexualstraftäter gewarnt und ihn identifizierbar gemacht. Das Innenministerium prüft, ob das rechtens war

Ein Mann misshandelt und vergewaltigt zwei junge Mädchen und geht 1995 dafür für 14 Jahre ins Gefängnis. Schon zehn Jahre zuvor hat er ein Mädchen vergewaltigt, für diese Tat verbüßt er fünf Jahre hinter Gittern. In der neuerlichen Haft bezeichnet er sich hartnäckig als unschuldig und verweigert alle angebotenen Therapien.

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Schließlich kommt er auf freien Fuß. Das Gericht lehnt eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung ab, obwohl zwei Gutachter davor warnen, dass von dem Mann weiter eine ernste Gefahr ausgehe. Der Mann beschließt, in eine nordrein-westfälische Kleinstadt umzusiedeln. Kaum dort angekommen, warnt der dortige Landrat die Bevölkerung über die Lokalmedien und veröffentlicht den Vornamen, das Kürzel des Nachnamens und das Alter des Mannes sowie Teile seines Strafregisters und nennt den Stadtteil, in den der Mann gezogen ist.

So geschehen in den vergangenen Tagen. Die nordrhein-westfälische Kleinstadt heißt Heinsberg, der Landrat Stephan Pusch, er ist in der CDU. "Ich sehe es als meine Pflicht an, die Bevölkerung im Kreis Heinsberg sachlich über einen Vorgang zu informieren, mit dem wir seit dem Wochenende im Kreis Heinsberg konfrontiert sind", sagte er in einer Erklärung.

Offenbar hatte die bayerische Polizei die Kollegen in Heinsberg über den geplanten Umzug des entlassenen Sexualtäters informiert. "Das war ein Schulterschluss mit den bayerischen Polizeibehörden", sagt der Sprecher der Heinsberger Polizei, Karl-Heinz Frenken. Man habe sofort Maßnahmen ergriffen. Welche das sind, darf Frenken nicht im Detail sagen. Fest steht aber, dass die Polizei den Mann überwacht.

Dies geschieht beileibe nicht nur zum Schutz der Bevölkerung. "Die Gefahr der Selbstjustiz sehen wir", sagt Norbert Schröders von der Polizei Heinsberg. Man habe zwischen den Persönlichkeitsrechten des Mannes und dem
Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung abgewogen und entschieden, dass letztere wichtiger sei. Die örtliche Polizei stehe voll hinter dem Vorgehen von Landrat Pusch.

Der Datenschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen hält das Vorgehen zumindest für problematisch. "Man fragt sich, warum zusätzlich zu den polizeilichen Maßnahmen die Öffentlichkeit auf eine so seltsame Weise informiert worden ist", sagt eine Sprecherin. "So wird nur Angst und Schrecken verbreitet und es besteht die Gefahr, dass die Einwohner falsche Verdächtigungen anstellen."

Udo Vetter ist Fachanwalt für Strafrecht im nahen Düsseldorf, er kann nicht nachvollziehen, warum der Landrat öffentlich vor dem Mann warnt. Die Nichtnennung des Nachnamens hält er für "einen schlechten Scherz." "Heinsberg liegt auf dem platten Land, man kennt sich, natürlich ist der Mann identifizierbar. Der einzige Zweck der Warnung kann nur sein, dass der Mann aus dem Ort weggemobbt wird", sagt er. "Herr Pusch warnt vor einem Mann, der seine Strafe abgesessen hat." Der hingegen sagt, man müsse Zivilcourage zeigen.
Für Polizeisprecher Frenken ist die Sache "ein atypischer Fall". Man sei sich bewusst, dass man mit der Warnung "ein gewisses Risiko" eingegangen sei. Panik in der Bevölkerung zu verursachen, sei aber ausdrücklich nicht das Ziel.

"Wir haben aus der Bevölkerung viele positive Reaktionen erhalten, aber natürlich rufen auch besorgte Eltern an", sagt Frenzen. Genau darin sieht Vetter ein Problem. "Das Vorgehen des Landrats ist unglaublich kurzsichtig. Denn was können die Eltern tun, außer ihre Kinder zu Hause einzusperren?"

Während man sich in Heinsberg sorgt und noch gar nicht abzusehen ist, was der Landrat mit seiner Warnung angestoßen hat, diskutiert man in Bayern die Entscheidung des Gerichts, den Mann frei zu lassen.

Hans-Joachim Meßner, Richter am Landgericht München II, war an der Entscheidung beteiligt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte er, man habe es sich nicht leicht gemacht. Eine Voraussetzung für eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung sei, dass im Nachhinein neue Umstände bekannt werden, wonach der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Straftaten begehen wird. "Diese Umstände haben wir nicht gesehen." Vor der Verurteilung hatte ein Sachverständiger einen Hang zu schwersten Straftaten verneint.

Über die Entscheidung des Gerichts ist man im bayerischen Innenministerium aufgebracht. "Für uns ist das durchaus ein neuer Umstand, wenn sich in der Haft herausstellt, dass sich der Täter jeglicher Therapie verweigert", sagt Ministeriums-Sprecher Oliver Platzer. Minister Hermann sei überzeugt, "dass man dem Antrag der Staatsanwaltschaft hätte folgen und anschließende Sicherheitsverwahrung hätte verhängen müssen."

Die Staatsanwaltschaft hat Rechtsmittel eingelegt, der Fall geht nun vor das Oberverwaltungsgericht. Dass dieses doch noch eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung anordnet, sei aber unwahrscheinlich, sagt Platzer. Es sei denn, der Täter wird wieder straffällig. Richter Meßner sagt: "Ich kann nur hoffen, dass es nicht passiert."

Anwalt Vetter schätzt, der inkriminierte Mann habe gute Chancen, wenn er gegen den Landrat auf Unterlassung klage. "Der hat den Mann zum Freiwild gemacht." Ob das Vorgehen des Landrats rechtens war, will nun auch das nordrhein-westfälische Innenministerium prüfen.
Quelle: http://www.zeit.de


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gabfalk
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